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Nachwachsende Rohstoffe und Gentechniken

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Einleitung

Nachwachsende Rohstoffe sollen stärker genutzt werden. Die chemische Industrie setzt auf Gentechnik, um Organismen und Stoffe, die nicht in das aktuelle System passen, passend zu machen.

Neue gentechnische Verfahren sollen in der sogenannten Bioökonomie eine – vielleicht sogar „wesentliche“ – Rolle spielen. Darüber scheinen sich Akteur*innen aus Industrie, Politik und Wissenschaft einig zu sein. Mit Bioökonomie sind im Grunde alle Bereiche der Wirtschaft gemeint, die nachwachsende Rohstoffe einsetzen, inklusive deren Verarbeitung. Es ist gleichzeitig als politisches Konzept zu verstehen, mit dem der Abhängigkeit von fossilen Ressourcen begegnet werden soll.
Ricardo Gent, Geschäftsführer der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB), zum Beispiel hatte im vergangenen Jahr geschrieben, dass „die Genom-Editierung dazu beitragen [kann], die Stoffwechselvorgänge von Produktionsorganismen wie Bakterien gezielt zu verbessern“. Für Gent, der auch „Ansprechpartner für Bioökonomie beim Verband der Chemischen Industrie“ ist, steht fest: „Die technische Basis der Bioökonomie ist die industrielle Biotechnologie, mit deren Hilfe Biomasse in Bioraffinerien und in integriert chemisch-biotechnologischen Produktionsanlagen zu biobasierten Produkten verarbeitet wird.“ In ähnlicher Weise äußert sich der Bioökonomierat. Das vor allem mit Vertreter*innen aus Wissenschaft und Unternehmen besetzte Beratungsgremium der Bundesregierung ist davon überzeugt, „dass Genome Editing bedeutende Innovationen in der Bioökonomie anstoßen wird.“
Die chemische Industrie ist allein für die stoffliche Verarbeitung für den Verbrauch von 15 Prozent des in Deutschland genutzten Erdöls verantwortlich. Sie ist damit eine der wesentlichen Nutzer*innen fossiler Rohstoffe. Verständlich, dass ihr in der Bioökonomie eine zentrale Rolle zugeschrieben wird. Der Industrie ist es wichtig, dass sie möglichst viele Teile ihrer Infrastrukturen, insbesondere ihrer Produktionsanlagen auch dann nutzen kann, wenn sich die Rohstoffbasis ändert, das heißt mehr nachwachsende Rohstoffe (Pflanzen) eingesetzt werden. „Ein wichtiger Erfolgsfaktor für Bioraffinerien ist die Integration in Wertschöpfungsketten, hier können in bestehenden Chemiestandorten Synergien genutzt werden“, so der Verband der Chemischen Industrie (VCI).

Stoffströme in der chemischen Industrie

Um zu verstehen, welche Rollen der Gentechnik (inklusive der neuen Gentechnikverfahren wie CRISPR) in der Bioökonomie zukommen sollen, hilft ein etwas genauerer Blick in die Organisation der chemischen Industrie. Diese ist zum jetzigen Zeitpunkt zu Dreiviertel auf Erdöl als Rohstoff angewiesen. Das Erdöl wird vor allem in Raffinerien zu etwa 50 Plattformchemikalien umgebaut. Aus diesen werden mit verschiedenen Zwischenschritten die tausenden Produkte der chemischen Industrie und anderer Sektoren hergestellt. Dies sind zum Beispiel Kunststoffe jeglicher Art in Fahrzeugen oder als Isolierung am Bau, aber auch Schmierstoffe, Fette und Öle für technische Anwendungen. Zwischen den verschiedenen Ebenen bestehen immer wieder Querverbindungen: Das Neben- oder Abfallprodukt des einen Prozesses wird zum Ausgangspunkt des Prozesses für die Herstellung des nächsten Stoffes.

Rollen der Gentechnik in der Bioökonomie

Wesentlicher Teil der Bioökonomie ist die Änderung der Rohstoffbasis in Richtung des vermehrten Einsatzes von biogenen Stoffen. Das gilt selbstredend auch für die Bioökonomie in der chemischen Industrie. Hier ergeben sich für die Gentechnik mindestens zwei umfassende Anwendungsgebiete. Das erste hat die Bundesregierung bereits 2012 in ihrer „Roadmap Bioraffinerien“ formuliert:
„Die Züchtung optimierter Rohstoffpflanzen zur Steigerung des Biomasseertrags und zur Optimierung der Inhaltsstoffe erfordert alle Methoden der modernen Pflanzenzüchtung und Pflanzenproduktion, einschließlich der Pflanzenbiotechnologie. […] Dabei spielt sowohl die erreichbare Mengensteigerung als auch die gezielte Herstellung von benötigten Rohstoffen mit vorgegebener Zusammensetzung eine Rolle.“
Auch wenn die CRISPR-Technologie seinerzeit nicht im Fokus der Debatte stand – dieses gentechnische Werkzeug war gerade erst erfunden worden – kann getrost davon ausgegangen werden, dass sie sich problemlos in diese Beschreibung einreihen lässt.
Das zweite Anwendungsgebiet für die Gentechnik sind die „Produktionsorganismen“, wie Gent sie nennt. Damit sind insbesondere Bakterien und Hefen gemeint, die mit gentechnischen Methoden verändert wurden. Die Mikroorganismen werden in Bioreaktoren gehalten und mit den oben beschriebenen biogenen Rohstoffen ‚gefüttert‘.
Zivilgesellschaftliche Beobachtung oder gar Beteiligung findet derzeit fast ausschließlich in dem ersten Bereich statt. Das Treiben der Industrie mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen bleibt bisher weitgehend unbeachtet. Auf einige Aspekte der Nutzung von mit neuen gentechnischen Verfahren veränderten (Mikro-)Organismen hatte allerdings Ricarda Steinbrecher von der Nichtregierungsorganisation Econexus (Oxford, Großbritannien) in dem bereits genannten Bioökonomie-Schwerpunkt des Rundbriefes des Forum Umwelt und Entwicklung (1/2018) hingewiesen. Steinbrecher nennt zum Beispiel die Produktion von Vanillin, das unter Verwendung von Mikroorganismen hergestellt wird.

Biogasanlagen

In anderen Bereichen der Wirtschaft können die Wege natürlich abgekürzt sein. Das heißt, dass eine Verarbeitung in Raffinerien nicht immer nötig ist. Schon heute kommen bekanntlich große Mengen biogener Rohstoffe in der Energiewirtschaft zum Einsatz, zum Beispiel in Biogasanlagen oder bei der Rapsölherstellung. Auch sie gelten als bioökonomische Beispiele. Zwischen 2005 und 2009, als auch in Deutschland mit klassischen Methoden gentechnisch veränderter Mais angebaut wurde, wurde dieser oft in Biogasanlagen verwendet. Regelmäßig sahen sich Kritiker*innen mit dem Argument konfrontiert, dass somit (tier-)gesundheitliche Aspekte keine Rolle mehr spielen, da der gentechnisch veränderte Mais nicht als Lebens- oder Futtermittel genutzt werde.

Neue Gentechnik – neue Pflanzen?

Eine von Eva Gelinsky im Auftrag des schweizerischen Bundesamtes für Umwelt erstellte Liste zeigt eine ganze Reihe von aktuellen Projekten, von denen sich manche auch bioökonomisch lesen lassen. Darin findet sich ein Raps, der über eine veränderte Fettsäure-Zusammensetzung verfügt, eine Maisart, die in ihrer Stärkezusammensetzung durch CRISPR verändert wurde und ein weiterer Mais, dessen Ertrag mit der CRISPR-Technik verbessert worden sein soll. Daneben findet sich eine Reihe gentechnischer Veränderungen, die sich eher auf den Anbau der Pflanzen beziehen, zum Beispiel um Krankheitsresistenzen bei Reis und Herbizidresistenzen bei Weizen zu erwirken. Insgesamt zählt Gelinsky 31 Projekte auf. Zum Teil sind diese in sehr frühen Entwicklungsstufen, zum Teil werden die Pflanzen bereits in Freisetzungsversuchen getestet. In den USA sind die ersten dieser Pflanzen von der zuständigen Behörde APHIS dereguliert worden. Das bedeutet, dass sie ohne Zulassungsverfahren, ohne Risikobewertung und ohne Kennzeichnung kommerzialisiert werden dürfen. Das ist in Deutschland und der Europäischen Union bisher (noch) nicht der Fall.
Die Beispiele in Gelinskys Liste zeigen, dass auch mit den neuen Gentechnikverfahren im Grunde genau die Eigenschaften in Pflanzen eingebaut werden sollen, die schon in den vergangenen Jahren die Diskussionen bestimmten. Einerseits werden weiter für den Anbau relevante Eigenschaften wie die Toleranz gegen Herbizide oder die Insektengiftigkeit übertragen. Hinzu kommen die Eigenschaften, die das Ernteprodukt verändern, beispielsweise in der Zusammensetzung der Fettsäuren. Erstere bestimmen seit Jahren den Markt der gentechnisch veränderten Pflanzen. Letztere blieben – mit der klassischen Gentechnik – im Grunde Ideen. Das zeigt auch ein Bericht, den das Gen-ethische Netzwerk im vergangenen Jahr veröffentlicht hat. Wie ein roter Faden ziehen sich die in der Regel leeren Versprechungen durch die Geschichte der Agro-Gentechnik.
Die Idee mehr nachwachsende und weniger fossile Rohstoffe zu nutzen, ist im Umfeld zivilgesellschaftlicher Gruppen entstanden. Entsprechend muss für diese – insbesondere was die Agro-Gentechnik betrifft – das Motto lauten: Die Bioökonomie muss zurückerobert werden! Allerdings wird es eine Bioökonomie im Sinne strikter nachhaltiger Leitplanken nur dann geben können, wenn der Rohstoffverbrauch insgesamt deutlich gesenkt wird.

 

Siehe auch den Rundbrief des Forum Umwelt und Entwicklung (2/19; Juni 2019):

https://www.forumue.de/rundbrief-ii-2019-neue-gentechnik-zwischen-labor…

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Die chemische Industrie hat ihre eigene Lesart der Bioökonomie

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